Wie kommt man denn als Krankenschwester auf die Idee, sich mit Atommüll zu beschäftigen?
Ines Maltusch (lacht): Ich habe Biomedical Engineering im Bachelor studiert, das hat ja schon einmal ein bisschen die technische Seite von Medizinprodukten. Während dieses Studiums ist dann mein Interesse an medizinischer Physik geweckt worden, so dass ich mich im Masterstudiengang für Nuclear Applications entschieden habe.
Trotzdem ist das ja ziemlich ungewöhnlich. Wie hat denn ihre Familie darauf reagiert?
Ach die sehen das recht pragmatisch. Mein Vater ist auch Ingenieur und eher der rationale Typ. Pro Atomkraft sind meine Eltern trotzdem nicht, einfach, weil sehr viele Dinge zu ungewiss sind, was die Endlagerung betrifft. Sie sind eher genervt von der Politik, die Atomkraft lange als Übergangslösung zu erneuerbaren Energien angepriesen hat, aber im Endeffekt keine Innovation vorangetrieben hat.
Da haben Sie also Naturwissenschaften quasi von zu Haus aus mitbekommen. Haben Sie gerne Physik gemacht in der Schule?
Im Grunde schon, also meine Fächer waren eher Mathematik und Physik. Dennoch war ich in meinen letzten beiden Schuljahren keine Musterschülerin und hatte nur noch wenig Motivation und mich dann auch erstmal gegen ein Studium entschieden.
Zugegebenermaßen bin auch ich in das alte Rollenmuster verfallen und habe in Ihrem Studiengang vor allem Männer erwartet. Ist das Klischee inzwischen überholt?
Wenn ich mir meine Kommilitonen anschaue würde ich sagen, dass es ziemlich ausgeglichen ist. Ich habe auch gelernt, dass die ganze Nuklearchemie Branche einen eher hohen Frauenanteil hat und in dem Bereich werden ja viele Grundlagen für die Entsorgung erforscht oder umgesetzt. Was die Physik angeht denke ich, dass der Männeranteil eher überwiegt. Ich kann mir aber vorstellen, dass sich das in Zukunft auch eher angleichen wird, wie allgemein in den MINT-Fächern.
Wie können Ihrer Meinung nach Mädchen und jungen Frauen mehr für Naturwissenschaft begeistert werden?
Das ist eine gute Frage, auf die ich keine konkrete Antwort habe. Ich denke vieles beginnt in der Schule. Wenn ich an meinen Unterricht in naturwissenschaftlichen Fächern zurückdenke, war es eher eine mittlere Katastrophe, aufgrund des Lehrermangels. Dann wird mal ein Halbjahr gar kein Physik unterrichtet oder der Sportlehrer, der mal ein Semester Physik studiert hat, übernimmt einen Jahrgang. Sowas ist kein guter Unterricht und da braucht man sich nicht wundern, dass Naturwissenschaften als Horrorfächer gelten. Jungen, die sich dann vielleicht privat lieber mit technischen Themen auseinandersetzen wagen dann so ein Studium eher als Mädchen oder junge Frauen, deren schulische Erfahrungen schlecht waren. Ich blicke da aber optimistisch in die Zukunft und glaube, dass solche Interessensunterschiede, die eventuell auch ein Resultat von angezogenen Vorurteilen innerhalb der Gesellschaft sind, also allgemeine Klischees wie Jungen interessieren sich für Technisches und Mädchen für Soziales, sich mit der Zeit ausgleichen werden.
Was verbinden Sie mit dem Thema Atomausstieg und Atommüllentsorgung in Deutschland?
Was den Ausstieg angeht denke ich war die Entscheidung falsch und wurde nur getroffen, um sich bei den nächsten Wahlen beliebter zu machen. Ich glaube angesichts des Klimawandels wäre es sinnvoller gewesen erst auf die Braunkohle zu verzichten und danach den Atomausstieg zu planen. Was die Entsorgung angeht sehe ich aber schon Probleme, nicht, weil ich nicht an die Sicherheit der Lager glaube, sondern eher, weil man einigermaßen sichere Vorhersagen nur für ein paar Jahre treffen kann und nicht für die Zeit, für die der Müll eingelagert werden soll. Ich kann gewisse Bedenken aus Sicht der Bevölkerung also absolut verstehen. Im Grunde ist es ein politisches Versagen. Man hat den Leuten jahrelang erzählt wir haben nur einen Übergang, um die erneuerbaren Energien voranzutreiben und hat dabei vergessen dort etwas zu unternehmen. Man verspielt hiermit Vertrauen, was dann leider bei einigen in der Bevölkerung soweit geht, dass sie nicht mal mehr den Fachleuten trauen, die die nötige Expertise haben.
Fehlt es uns in der Debatte an Rationalität?
Auf jeden Fall, das Ganze wird viel zu emotional diskutiert. Als fachfremde Person ist das Thema viel zu komplex, als dass man einfach eine Meinung haben kann oder sollte, ich würde sagen rational veranlagte Menschen wissen das auch, das sollte man dann den Fachleuten überlassen. Über den Ausstieg kann man denken, wie man will, aber der Atommüll ist nun einmal da und damit muss man irgendwie umgehen. Man kann auch vergangene Fehler nicht rückgängig machen. Also muss man sich aus allen Alternativen die Beste aussuchen und dafür sollte man auf die Wissenschaftler hören, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Politiker handeln aber meiner Meinung nach auch zu wenig rational, sondern eher danach was Ihnen gute Wahlergebnisse beschert. Da sind dann die Fachleute leider in der Unterzahl.
Wie muss ich mir Ihren Studiengang vorstellen?
Im Grunde ist es eine Spezialisierung auf nukleare Anwendungen, wie der Name schon sagt. Einige Grundlagenfächer muss jeder belegen, ab dem 2. Semester entscheidet man sich für eine Vertiefungsrichtung, darunter Nuklearchemie, nukleare Technologien, Medizinphysik oder Radioaktive Müllentsorgung und belegt entsprechende Wahlfächer. Es ist also im Grunde eine Mischung aus Physik und Chemie, da in der Nukleartechnik beides zusammenkommt. Bachelorstudenten aus unterschiedlichen Bereichen können das studieren, meiner Erfahrung nach kommen die meisten aus der Chemie oder dem Ingenieurwesen.
Auf welche Studierenden sind Sie getroffen, welche Erfahrungen haben Sie bislang gemacht (auch im internationalen Kontext)?
Der Studiengang ist zum größten Teil international. Deutsche Studenten haben wohl den geringsten Anteil, was das Studieren aber interessant macht, einfach, weil man mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Ländern zusammenkommt, zu denen man sonst in Deutschland wohl nicht so viel Kontakt hat, wie aus Saudi-Arabien, Indien oder China. Der Studiengang ist zudem auf Englisch und durch den Austausch mit anderen ist man auch dazu gezwungen die Sprache zu sprechen, was es denke ich einfacher macht, als wenn meine Kommilitonen ebenfalls Deutsch sprechen würden. Leider habe ich aber genau während der Coronapandemie begonnen zu studieren, dementsprechend war der Kontakt da sehr eingeschränkt und so viel kann ich gar nicht zu anderen Studenten sagen. Ich persönlich finde es aber sehr angenehm, dass nur wenige Studenten im Studiengang sind (insgesamt schätze ich um die 30-40) und im Winter- und Sommersemester begonnen wird, dadurch hat man automatisch Kontakt zu höheren Semestern, was hilfreich sein kann.
Welchen Praxisbezug gibt es für Sie im Studium?
Durch die Coronapandemie sind leider einige praktische Veranstaltungen in den Laboren der Fachhochschule ausgefallen, daher war es in meinem Fall etwas reduziert. Aber ein sehr großer Vorteil ist, dass viele Fächer von externen Dozenten die in der Praxis, meist in Forschungseinrichtungen, tätig sind unterrichtet werden. Man bekommt dadurch viele Einblicke, was auch hilfreich für die spätere Berufswahl ist, da man schon eine bessere Vorstellung von der Arbeit hat. Auch wenn man Praktika machen möchte oder auf der Suche nach einer Masterarbeit ist, sind die Kontakte dadurch schnell vorhanden. Man braucht also meist keine langen Bewerbungen oder irgendwas schreiben, sondern spricht die Dozenten einfach an. Auch die fest angestellten Professoren an der Fachhochschule arbeiten mit vielen verschiedenen Wissenschaftlern, auch international, zusammen, und vermitteln gerne, so dass man sehr einfach praktische Erfahrung sammeln kann.
Wie bewerten Sie die Rolle der BGZ mit Blick auf den Studiengang?
Ich würde sie schon als elementar bezeichnen, nicht nur, weil die Vertiefungsrichtung Nuclear Waste Management auch erst mit Hilfe der BGZ zu Stande gekommen ist (meines Wissens nach?). Da die Entsorgung uns ja noch Jahre beschäftigen wird, trotz Atomausstieg, ist die Weiterbildung von Fachkräften auf dem Gebiet natürlich essentiell. Und da wirkt die BGZ durch Seminare und einzelne Vorlesungen an einer Weitergabe ihrer Expertise mit. Ich denke das ist auch sinnvoll, da man sich unter der Arbeit in der Entsorgung radioaktiver Abfälle nur schwer was vorstellen kann, bis man sich mit entsprechenden Leuten unterhält, die einen Einblick verschaffen können. Das ging zumindest mir so. Das Thema hat man einfach nicht unbedingt auf dem Schirm, wenn man damit nicht in Kontakt kommt oder es nicht gerade in der Presse auftaucht, und dort hat es ja meist eher einen negativen Beigeschmack, weil lieber über Skandale berichtet wird.
Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Eigentlich würde ich mich gerne in Richtung der Medizinphysik orientieren und nach dem Studium die praktische Ausbildung zur Medizinphysikexpertin beginnen. Ich muss aber sagen, dass mich das Thema Entsorgung seit der Radioactive Waste Management Konferenz in Wien nun etwas mehr interessiert. Hauptsächlich weil es auch ein sehr politisches Thema ist und ich mich privat sehr für Politik interessiere. Durch die Coronapandemie wurde deutlich, dass eine Aufklärung der Gesellschaft bei komplexen Themen sehr wichtig ist und in so einem Bereich könnte ich mir auch durchaus eine Zukunft vorstellen.
Werden wir Sie eines Tages als Kollegin bei der BGZ wiedersehen?
Soweit reichen meine Zukunftspläne dann doch nicht, aber das würde ich zumindest nicht ausschließen.
Womit beschäftigen Sie sich, wenn es mal nicht um Atommüll geht?
Ich lese gern, zuletzt „Der Fall Julien Assange“ von Nils Melzer, „Aus der Welt” von Michael Lewis und „4321“ von Paul Auster. Und ich gehe gerne ins Kino und höre sehr gern amerikanischen HipHop.