Zweite Chance auf vier Rädern

AHAUS – 1300 Stunden mühevolle Kleinarbeit in 5 Jahren: Wenn Ingo Kleinfeld aus Ahaus-Graes neben seinem restaurierten VW T2 Westfalia steht, ist ihm der Stolz anzusehen. Mit der für einen Münsterländer typischen Bescheidenheit spricht der Metallbaumeister, der bei BGZ in Ahaus in der Qualitätsüberwachung arbeitet, über seine beeindruckende Leistung. Was heute in der Originalfarbe „Neptunblau“ glänzend dasteht, hat den Schrauber manchmal fast zur Verzweiflung getrieben. Ingo Kleinfeld und sein Bulli – das ist eine besondere Geschichte.

Wenn man diese Geschichte erzählen möchte, muss man zunächst über ein Unglück sprechen. Kleinfeld fuhr 20 Jahre lang leidenschaftlich Motorrad. Bis zum 11. Juli 2015, als sich der Ahauser bei einem Unfall mit dem Motorrad verletzte. Noch im Krankenhaus versprach der Familienvater seiner damals 6-jährigen Tochter und seiner Frau, dass er nie wieder Motorrad fährt. Ein Versprechen, das er bis heute gehalten hat.

„Mein Arzt riet mir, während der Rehabilitationsphase einem Hobby nachzugehen“, erzählt der 45-Jährige. Der BGZ-Mitarbeiter, der sich schon immer für Oldtimer interessiert hat, machte sich auf die Suche nach einem Schrauberprojekt.

Fündig wird er bei einem Importeur im Aachener Raum, der einen VW Bulli aus Texas anbietet: einen T2 Westfalia, Erstzulassung 1978, mit der großen „Berlin“-Ausstattung. Aufstelldach, Küche, Standheizung, Klimaanlage, Tempomat – mehr geht fast nicht. 98.600 Meilen hat das sonnenverwöhnte Fahrzeug damals auf dem Tacho. Der Importeur ruft einen „Liebhaberpreis“ auf und Kleinfeld hat ein neues Hobby.

„Auf den ersten Blick stand der Bulli gut da“, erinnert sich der Graeser. Auf den zweiten Blick stellte sich heraus: In seiner Garage steht eine Riesen-Herausforderung. „Festgeschweißte Radmuttern, lose Kabel überall, mit Klebeband fixierte Benzinschläuche – jedes Teil war eigentlich defekt oder zerschlissen.“ Die Konsequenz: bis auf die Karosserie musste alles raus.

„Ich habe jedes Teil auseinandergenommen und angefasst, bestimmt Tausend Teile“, berichtet Kleinfeld. Um auch im Sitzen in seiner Garage arbeiten zu können, lässt er für kleines Geld ein Drehgestell anfertigen. Mit dem Karosserierahmen verschraubt, kann das Fahrzeug um 90 Grad gedreht werden.

Was dann folgt, beschreibt der Bulli-Besitzer als jahrelange Sisyphos-Arbeit: „Ich war schon häufig frustriert, wenn es nicht weiterging. Man entwickelt mit der Zeit aber eine hohe Frustrationstoleranz.“ Manchmal habe er „das Teil“ einfach vergessen wollen. „Aber es stand ja in der Garage ständig im Weg“, erzählt er heute lachend. Die Motivation sei immer gewesen: nicht aufgeben, weitermachen.

Dabei halfen ihm neben seiner eigenen Disziplin und Ausdauer Gleichgesinnte in mehreren Oldtimer-Foren und beim Bulli-Club in Münster. Weitere Bulli-Verrückte kamen schon mal sonntags aus dem Ruhrgebiet, um bei Spezialproblemen zu helfen. „Die Hilfsbereitschaft, die ich erfahren habe, war großartig.“

An einem Tag im Mai 2021 ist es endlich soweit. Kleinfeld hat Geburtstag – und einen Termin beim TÜV. Der Gutachter sei begeistert gewesen – und gründlich. Vier Stunden dauert die Neuabnahme des T2, jede einzelne CE-Kennzeichnung ließ sich der TÜV-Experte zeigen. Am Ende gibt es den lang ersehnten Stempel und anschließend eine besondere Geburtstagsfeier mit einem neuen „Familienmitglied“, das von Kleinfelds Tochter und seiner Frau liebevoll „Schlumpf“ genannt wird.

Die erste Reise mit frischer TÜV-Plakette – man will es ja nicht übertreiben – geht auf einen Campingplatz bei Münster. Der Bulli bietet Platz für die ganze Familie inklusive Hund. Schöner Reisen geht also eigentlich nicht. Und das mit 90 bis 100 km/h. Der Bulli könnte zwar 127 km/h Höchstgeschwindigkeit aus 70 PS leisten, aber niemand will ihm das mehr zumuten.

Der 44 Jahre alte T2 steht heute zwar im Museumszustand da. Er ist aber kein Museumsstück. Nach einem erneuten Werkstattaufenthalt und kurzem Zittern (defekter Dichtungsring, 1-Euro-Teil), fährt Kleinfeld seinen Bulli heute regelmäßig: Neben Fahrten in den Urlaub dient er auch dazu, Arbeitskollegen zum Traualtar zu chauffieren (so wie zuletzt in Ahaus, als Ingo Kleinfeld seinen Kollegen Frank Abbing zur Kirche St. Josef fahren durfte).

Das Schönste aber, erzählt Kleinfeld, sind die Reaktionen der Ahauser, wenn er mit dem Bulli „einfach nur so“ von A nach B unterwegs ist. Besonders die Begeisterung der Kinder, die ihre Eltern staunend auf das „Matchboxauto“ hinweisen, freut Kleinfeld. „Es wird gewunken, es gibt Daumen nach oben und die Leute gewähren einem überall die Vorfahrt.“

Und was bringt die Zukunft für den Bulli und die Kleinfelds? Seiner Tochter, die mittlerweile Teenagerin ist, hat Ingo Kleinfeld ein weiteres Versprechen gegeben: „Sie will damit mal in den Urlaub nach Spanien fahren und da bietet sich so ein Bulli natürlich an.“

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