Der Geschichtenjäger aus Geeste
GEESTE/LINGEN– Stefan Haupt hat einen mehr als 3600 Jahre alten Schatz gefunden, eine Ehe gerettet und die Spuren der Römer im Emsland verfolgt: Langweilig ist das Hobby des 42-Jährigen, der bei der BGZ im Zwischenlager Lingen arbeitet, nie. Ein bisschen Glück allein reicht aber nicht, um mit dem Metalldetektor auf dem Acker erfolgreich zu sein.
Wenn das typische Piepen ertönt, geht der Puls hoch, erzählt Stefan Haupt und lächelt. Auch wenn er weiß, dass die Chance auf einen Sensationsfund statistisch sehr gering ist. Oft lassen verrostete Blechdosen, Nägel oder Drähte den Metalldetektor anschlagen, mit dem der Geester regelmäßig in seiner Freizeit auf Wiesen und Feldern im Emsland unterwegs ist. Aber eben nicht immer ist es alter Müll, der unter der Erde schlummert. Zahlreiche Münzen, Kreuze, Broschen und Anhänger hat er schon gefunden, darunter eine Silbermünze aus dem 13. Jahrhundert, die einen Bischof aus Münster zeigt, sowie eine 1800 bis 2000 Jahre alte römische Fibel. Eine Art Brosche, die Reisende nutzten, um ihre Gewänder am Hals zusammenzuhalten. „Anhand des Tons, den der Metalldetektor von sich gibt, lassen sich Größe und Material des Gegenstands erahnen“, erläutert Stefan Haupt. „Das Gespür für archäologische Funde muss man aber erst entwickeln, das dauert.“
Doch das, was er in Sögel aus dem Feld holte, übertraf seine kühnsten Erwartungen. Als der Detektor am 29.10.2022 anschlug, war Stefan Haupt auf eine Sensation gestoßen: Er fand ein äußerst gut erhaltenes Bronzebeil aus der Zeit um 1600 vor Christus. „Das Gefühl war unbeschreiblich, einfach einzigartig“, erzählt er. Behalten hat er das Beil natürlich nicht. Das ist nun im Archäologischen Museum in Meppen zu sehen. Gefunden hatte Stefan Haupt es im Rahmen eines Kurses unter der Leitung des Kreisarchäologen Thomas Kassens.
Denn einfach losmarschieren und nach Lust und Laune „sondeln“, wie die Suche nach archäologischen Funden unter Gleichgesinnten genannt wird, geht nicht. Zum einen braucht es immer die Erlaubnis des Grundbesitzers, auf dessen Fläche gesucht werden soll. „Aber man kennt sich hier in der Region, das hilft“, betont der Geester. Zum anderen ist eine so genannte Nachforschungsgenehmigung der zuständigen Unteren Denkmalschutzbehörde oder des zuständigen Stadt- oder Kreisarchäologen nötig. Diese erhalten nur Personen, die eine entsprechende Qualifikation nachweisen können. Bei einem solchen Workshop gelang dem 42-Jährigen der große Coup.
Aber es ist weniger die Jagd nach einem Sensationsfund, die Stefan Haupt antreibt. „Mir geht’s um die Geschichte hinter dem Fund“, erzählt er. „Wie ist der Gegenstand zum Fundort gekommen?“ Diese Frage treibt ihn um – und bescherte ihm schon zahlreiche Stunden im Archiv. Ohne historisches Interesse, Geduld und intensive Vorbereitung im Vorfeld klappt die Suche nicht: „Recherche ist das A und O.“ Er studiert historische Karten, durchstöbert Archive, blättert in alten Zeitungen und nähert sich so Stück für Stück dem nächsten Fleckchen Land, auf dem sich das „Sondeln“ lohnen könnte. Zum Beispiel dort, wo früher Handelswege verliefen, historische Rast- oder Siedlungsplätze vermutet werden. Dort haben die Menschen gerne mal etwas vergessen. Vor allem für Schatzsucher wie Stefan Haupt, der sich auf Münzen und Schmuck fokussiert. Zahlreiche kleine Kreuze zählen zu seiner Sammlung. „Diese Anhänger von Ketten wurden im Mittelalter oft von Trauergästen nach Beerdigungen an der Grabstelle über die Schulter geworfen – als Ritual“, erläutert der Hobbyarchäologe. Sie erzählen ein Stück Heimatgeschichte.
Seit rund sieben Jahren zieht’s Stefan Haupt mit dem Metalldetektor raus auf Feld und Flur. Wenn am Sonntagmorgen die Sonne aufgeht, „dann geht’s ab auf den Acker“, erzählt er und lacht. Für ihn der perfekte Ausgleich zum Job. Seit 2023 arbeitet er bei der BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung in Lingen, wo das bundeseigene Unternehmen das Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle betreibt. Vorher war der gelernte Elektriker auf Bohranlagen weltweit unterwegs, immer auf Achse. Bis ihm das Leben aus dem Koffer zu viel wurde. Er freut sich nun bei der BGZ ein sicheres und geregeltes Berufsleben zu haben, das ihm Zeit für sein Hobby lässt.
Mal „sondelt“ er allein, mal mit Bekannten aus der „Archäologischen Gruppe Lingen“ (AGL), die aktuell rund 15 Mitglieder zwischen 40 und 80 Jahren zählt. Stefan Haupt gehört mit 42 Jahren zu den Jüngsten. Fundneid untereinander kennen sie nicht. „Es zählt der Gemeinschaftsgedanke“, betont er. Man tausche sich gern über die neusten Funde und Recherchen aus – und arbeitet manchmal auch zusammen.
So leisteten Mitglieder der AGL auch schon Unterstützung bei der Polizeiarbeit – zum Beispiel, als nach einem Verkehrsunfall sechs wertvolle Goldmünzen aus einem Wagen verschwunden waren. Fünf fand die Gruppe dank der Metalldetektoren wieder. In einem sogenannten „Cold Case“ hat die AGL die Kriminalpolizei bei der Suche nach einer Tatwaffe unterstützt. Ebenso findet ein reger Austausch zwischen der AGL und den Archäologen im Emsland statt. Immer wieder mal wird die Gruppe für archäologische Projekte und Ausgrabungen angefragt.
Auch Freunde wissen Stefan Haupts Hobby zu schätzen. Zwei verlorene Eheringe hat er bereits im Garten wiedergefunden. „Der Haussegen war wiederhergestellt“, fügt er an und schmunzelt. Es sind Geschichten wie diese, für die der Geester das „Sondeln“ so liebt. Und die ihn motivieren, weiterzusuchen. Auch, wenn er monatelang mal nichts findet. Aber nach der Ernte, wenn die Felder gemäht sind, beginnt die Hochsaison der Schatzsucher. Und die steht kurz bevor.